Beratungsperspektive

Das Unternehmen Waldorfschule und die Grenzen der Selbstverwaltung

Unerfüllte Erwartungen und Chancen im nicht-pädagogischen Bereich

 

„Jeder muss seine volle Persönlichkeit einsetzen von Anfang an. Jeder muss voll verantwortlich sein“[1], so Rudolf Steiner am 20. August 1919 in Stuttgart bei einem Begrüßungsabend für die Teilnehmer an den ersten pädagogischen Kursen.

Seine Vorstellung, dass diejenigen, die gegenwärtig unterrichten und erziehen, auch die Administratoren der Schule sein sollen[2], erfordert nicht erst heute in der praktischen Umsetzung einer selbstverwalteten Schule Anpassungsfähigkeit, einen Tribut an den Zeitgeist, wie er damals schon in anderem Zusammenhang nötig war.

Damals waren es vor allem zwei widersprechende Kräfte, die es galt in Einklang zu bringen. Jene staatlich vorgegebenen Lehr-und Abschlussziele und die Ideale eines freiheitlichen Erziehungsverständnisses. Kompromiss und Einklang, um die Waldorfschule als praktischen Beweis für die Durchschlagskraft einer Pädagogik in die Welt zu stellen, „die lediglich darauf Rücksicht nimmt, so zu erziehen und zu unterrichten, wie es der Mensch, wie es die menschliche Gesamtwesenheit erfordert.“[3]

Heute ist der reale Boden einer Waldorfschule nicht nur bestimmt von staatlich vorgegebenen Lehrzielen, er ist durchdrungen von Sicherheitsauflagen an Gebäude und bei personenbezogenen Daten, von der Erfüllung gymnasialer Raumprogramme sowie steuer- und schulfinanzierungsrechtlicher Anforderungen. Die Elternschaft wird zunehmend  geprägt von Brüchen in den Erwerbsbiographien sowie von der ökonomisch besonders verletzlichen Form der Ein-Eltern-Familie.

Der Begriff Verwaltung einer Schule hat sich in den letzten einhundert Jahren zu nicht geahnten Höhen aufgeschwungen.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich das Selbstverwaltungspostulat einer Lehrerrepublik im freien Geistesleben heute primär auf Inhalte und Aufgaben der pädagogischen und technischen Lehrerkonferenzen und deren Delegationen konzentriert und eben nicht auf die operative Führung eines Schulbetriebes im wirtschaftlich-technischen, rechtlichen und administrativen Sinne.

Dem Idealbild, dass die Verwaltung einer Schule so geschieht, „… daß jeder Lehrer und Unterrichtende nur so viel Zeit zu lehren oder unterrichten braucht, daß ihm noch so viel Zeit übrig bleibt, um mit zu verwalten.“[4] , nähert man sich heute durch Delegation von mindestens einem Lehrer in die zentralen nicht-pädagogischen Verwaltungsgremien einer Schule.

Die eigentliche Geschäftsdurchführung im operativen Sinne obliegt in vielen Schulen einer Geschäftsführung. Unterstützt durch Verwaltungsmitarbeiter und Gremien, stellt oftmals ein einzelner Mensch in der Funktion als Geschäftsführer/in die große Klammer zwischen den wesentlichen Organen und Kreisen her. Hier strömt zusammen und verteilt sich wieder, was an vielen Stellen innerhalb und außerhalb der Schulgemeinschaft auf den Schulorganismus wirkt.

Informationen, Prozesse, Aufträge und Anforderungen sind darin die Hauptwährungen. Ihm obliegt es, den Kreislauf sowie die inhaltliche Umsetzung sicherzustellen und zu koordinieren.

Er ist gleichzeitig die große Unbekannte innerhalb der Anthroposophie und Waldorfpädagogik. Nie wird seine Rolle genannt, gebraucht wird er mehr denn je. In der Begegnung mit ihm spiegelt sich das Selbstverständnis einer Schulgemeinschaft, in der sich Eltern zum Teil vorschnell einer Rollen-Projektion aus der freien Wirtschaft bedienen, während Schulvorstände in der zum Teil konfliktträchtigen Zusammenarbeit leicht in die innere Haltung eines autoritären Arbeitgebers verfallen.

In der Regel verantwortlich für mehr als 50 Mitarbeiter in Festanstellung, einem Umsatz von 3 – 4 Mio. Euro jährlich und Finanzierungsvorhaben, die regelmäßig die Millionengrenze für Baumaßnahmen überschreiten, deckt er das operative Spektrum eines kleinen bis mittleren Unternehmens ab.

Geschäftsführer/innen müssen die unterschiedlichsten Anforderungen aus den Gebieten der Finanzwirtschaft, der Personalführung, verschiedenster Rechtsgebiete, der Bilanzierung und Buchführung, der Organisationsentwicklung, der Kontrolle, der Planung, der Technik und der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Mitarbeit in in- und externen Gremien erfüllen. Zudem stehen regelmäßig Fragen zur Qualität, Schulentwicklung, Repräsentation und Rechtskonformität auf der Tagesordnung.

Diese Aufgaben erzeugen die vielfältigsten Prozessabläufe und Gestaltungsanforderungen sowie Kommunikations- und Informationsbedürfnisse, die nicht nur den gesamten Schulorganismus beeinflussen, sondern auch nach außen wirken.

Hinzu kommen schulinterne Adressaten jener Administration, deren Rollenverständnis als Lehrer, Elternteil und Schüler in einer selbstverwalteten Waldorfschule heterogener nicht sein können. Sie stellen ein hoch komplexes und kompliziertes soziales Gebilde dar.[5]

Diesem Umstand bewusst, wünschen sich Schulen spätestens bei der Neubesetzung einer Geschäftsführungsposition eine ausgesprochene Persönlichkeit, die neben den fachlichen Anforderungen ausgeprägte soziale Kompetenzen mitbringt, ein hohes Maß an Selbstführungskompetenz und Empathie aufweist, gepaart mit einer überzeugenden Haltung zur Pädagogik und der allgemeinen Menschenkunde Rudolf Steiners.

Fragen der Prozessgestaltungs- und Organisationskompetenz, der Affinität hinsichtlich neuer Technologien einschließlich der Vorstellungskraft zu Einsatzmöglichkeiten automatisierter Prozesse geraten schnell in den Hintergrund. Visualisierungs- und Vermittlungskompetenzen von Informationen werden schlicht vorausgesetzt.

Herrscht ein Mangel an solchen Kompetenzen, entstehen Informationsdefizite und Verständnisprobleme, verliert jede Organisation von Menschen Zeit und Geld. Genau jene Kategorien, die an jeder Waldorfschule ein knappes Gut darstellen und zu allererst in die Pädagogik vor dem Kind zu investieren wären.

Auch wenn neueste Studien über die Selbstwahrnehmung von Geschäftsführern/innen auf Datenerhebungen aus 2010/2011 basieren, [6] sind Projektionen in die Gegenwart nicht unstatthaft. Selbsteinschätzungen von signifikanter Arbeitsüberlastung[7] und hemmender Unzufriedenheit mit der Funktionsweise der Selbstverwaltung[8], sind auch heute zu finden. Dass nur knapp 33% der damals angeschriebenen 219 Waldorfgeschäftsführer an der Studie teilgenommen haben, ist zudem bemerkenswert.[9]

Steffen Koolmann, Honorarprofessor an der Alanus Hochschule, gibt denn auch in seiner 2015 erstmals veröffentlichten Studie zur „Zukunftsgestaltung Waldorfschule“ die sehr allgemeine Empfehlung, dass eine Verbesserung erreicht werden kann, wenn die Beteiligten für die Verwaltungsarbeiten kompetent gemacht werden.[10]

Selbstverwaltung von Waldorfschulen – ein immer währendes Thema  – seit jeher. Und wiederkehrend fokussiert sich Diskurs und Literatur auf die sozialen Prozesse, auf Führungsfragen und Arbeitsgrundsätze kollegialer Selbstverwaltung.[11]

Zu Recht meint man – sind doch die wesentlichen Akteure einer kollegialen Selbstverwaltung eben nicht die nicht-pädagogischen Mitarbeiter, sondern die Lehrkräfte wie auch die in unterschiedlichen Gremien mitwirkenden Eltern.

Doch genau an diesem Punkt zeigt sich ein großes Missverstehen, das selbst in mancher Gehaltsordnung deutlich abzulesen ist, das Auseinanderdividieren einer Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Zielsetzung in pädagogische Mitarbeiter und Verwaltungskräfte. Wo doch das größte Gestaltungs- und Impulspotential für die oben dargestellten operativen Aufgaben und sozialen Prozesse genau dort, in der Geschäftsführung und Verwaltung liegt. Dort geht jeder hin, dort verbindet sich alles.

Hier werden nicht nur Zuschussanträge gestellt und Schulbeiträge eingezogen, hier findet das „Verwaltungsleben“  einer Schule statt.

Eigene Erfahrungen aus langjähriger Tätigkeit als Elternvorstand einer Waldorfschule haben mir gezeigt, dass sich die Qualität dieses Lebens an vier wesentlichen Fragestellungen beantworten lässt.

Wie kommuniziere ich wann und auf welchem Weg die relevanten Informationen adressatengerecht?

Wie organisiere ich Abläufe wirtschaftlich und transparent?

Wie komme ich vom Verwalter zum Gestalter – nicht nur der Finanzen?

Wie erkenne und nutze ich die vielfältigen Potentiale der Menschen innerhalb der Schulgemeinschaft?

Je nachdem wie die Geschäftsführung und Verwaltung diese Fragen beantwortet,  wirkt sie damit im Positiven wie auch im Negativen in die ganze Schulgemeinschaft hinein und darüber hinaus.

Doch oftmals fehlt es an Zeit, an Kraft, an Ausdauer für Vor- und Nacharbeiten,  damit die Dinge Form bekommen.

Hier ist eine helfende Hand, ein Blick von außen, eine Tatkraft dienlich.

 

Das Aufgabenspektrum der nicht-pädagogischen Administration und Geschäftsführung verlangt oftmals nach einer konkreten Lösung einer Anforderung, wo es nicht ausreicht, durch methodisch geschulte Begleitung zu lernen, die eigenen Prozesse selbst immer besser zu gestalten, durchzuführen, deren Ergebnisse in die Tat umzusetzen und rückblickend auszuwerten.[12] Vor allem dann nicht, wenn die innere Erwartung der Beteiligten eine substantielle Unterstützung wünscht. Eine Unterstützung im Sinne praktischen Mittuns, tätigen Begleitens – in dem die Erfahrung des Einen durch die Erfahrung des Anderen ergänzt wird.

Indem ein Begleiter nicht nur aufzeigt, wie Ideen und Vorstellungen erarbeitet werden, sondern diese umsetzt oder derart für die Gemeinschaft verfügbar macht, dass sie in den Gestaltungs- und Entwicklungsprozess direkt eingebracht werden können.

Wenn Schmiegsamkeit aufgrund herrschender Verhältnisse den Kompromiss und Einklang einer externen, zeitbegrenzten Unterstützung ermöglichen. Wenn hilfreiche Kompetenzen und Erfahrungen aus der erweiterten Gemeinschaft anthroposophischer Geisteshaltung hinzu gestellt werden, wenn ein Sich-Verbinden mit der Gemeinschaft auch in finanzieller Hinsicht fern von Beraterhonoraren ermöglicht wird.

So kann ein Unterstützungsansatz, der seinen Schwerpunkt in diesen administrativen Prozessen und Anforderungen hat, aufgrund der zentralen Rolle der Geschäftsführung auf die gesamte Schulgemeinschaft positiv wirken.

Dann kann die tätige Unterstützung dazu beigetragen, dass die Gemeinschaft sich konzentriert auf das, was werden will, indem der Beitrag Ihnen hilft auf Ihrem Weg.

 

 

 

Literaturverzeichniss:
[1] Vgl. Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 300a Seite: 62
[2] Vgl. GA 297a, S.30, 1998, Vortrag v. 24.02.1921
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. GA 297a, S.30, 1998, Vortrag v. 24.02.1921
[5] Vgl. Michael Harslem, Kriterien für Waldorf-Geschäftsführer/innen, S.3, https://harslem.de/veroeffentlichungen/geschaeftsfuehrung
[6] Vgl. Steffen Koolmann et al., Waldorfschulen und ihre zukünftigen Herausforderungen – eine organisationsstrukturelle Betrachtung, Rose – Research on Steiner Education, Volume 7 Number I, Juli 2016, S.62
[7] Vgl. Christian Boettger, Sind Geschäftsführer an Waldorfschulen zufrieden?, http://www.erziehungskunst.de/inhalt/waldorf-weltweit, Juli 2011
[8] Vgl. Steffen Koolmann et al., a.a.o., S.67
[9] Vgl. Steffen Koolmann et al., a.a.o., S.62
[10] Vgl Steffen Koolmann et al., a.a.o., S. 67
[11] Vgl. Inga Enderle, Kollegiale Selbstverwaltung als Führungsprinzip, Theoretische Rekontruktion und empirische Untersuchung der Arbeitsweise Freier Waldorfschulen, Wiesbaden 2019, S.9ff
[12] vgl. Michael Harslem, http://www.entwicklungsbegleitung.net/akademie/der-ansatz-der-entwicklungsbegleitung